Familie im Wohlfahrtsstaat – zwischen Verdrängung und gemischter Verantwortung

Families in modern welfare states – Between crowding out and mixed responsibility

Authors

  • Andreas Motel-Klingebiel
  • Clemens Tesch-Römer

DOI:

https://doi.org/10.20377/jfr-297

Keywords:

old age, family, need for care, intergenerational support, welfare-state comparisons, Alter, Familie, Hilfebedarf, intergenerationale Unterstützung, Wohlfahrtsstaat, Gesellschaftsvergleich

Abstract

In this paper, informal and formal provision of help and support for older people will be discussed in a welfare state comparative perspective, focussing on the relation between intergenerational family help and welfare state support. A range of research hypotheses is illuminated and tested. While the ‘substitution’ hypothesis states that generous provision of welfare state services may potentially crowd out family help to older people, the ‘encouragement’ hypothesis predicts the crowding in of family help. In addition, the hypothesis of ‘mixed responsibility’ predicts a combination of help and support by families and services – and, at last, the hypothesis of ‘functional differentiation’ assumes a specific mix with distinct and characteristic responsibilities of the named societal institutions.
Results come from the research project OASIS – Old Age and Autonomy: The Role of Service Systems and Intergenerational Family Solidarity’. This European comparative data is based on disproportionally age-stratified random samples of the urban population (25 years and older) in Norway, England, Germany, Spain, and Israel (n=6.106).

Findings show that total help received is more common in welfare states with a strong infrastructure of formal services. Moreover, statistical controls for social structure, pre¬ferences and familial opportunity structures bring in no evidence of substantial crowding out of family help. On the contrary, results support the hypothesis of ‘mixed responsibility’ and ‘functional differentiation’, as they point to the fact that in societies with well-developed service infrastructures, help from families and welfare-state services act accumulatively in the support of quality of life of older people. Help and support is less likely and support mixes are unusual in fami¬ly-oriented welfare regimes.

Zusammenfassung

Dieser Beitrag diskutiert aus einer international vergleichenden Perspektive die Ausgestaltung informeller und formeller Hilfe- und Unterstützungsleistungen für ältere Menschen. Dabei bezieht er sich insbesondere auf das Spannungsverhältnis zwischen inter- und intragenerationaler familialer Hilfe und wohlfahrtsstaatlich organisierten Unterstützungen. Während die ‚Substitutionshypothese‘ in einer großzügigen wohlfahrtsstaatlichen Versorgung älterer Menschen ein Potential zur Verdrängung der Familie als Unterstützungssystem sieht („crowding out“), geht die ‚Hypothese der Verstärkung‘ von einer Stimulation familialer Hilfen durch wohlfahrtsstaatliche Interventionen aus („crowding in“). Die ‚Hypothese der gemischten Verantwortung‘ prognostiziert derweil, dass eine verbesserte Serviceinfrastruktur vor allem die intensivierte Mischung informeller und formellen Hilfe- und Unterstützungsleistungen nach sich zieht. Die ‚Hypothese der funktionalen Differenzierung‘ schließlich nimmt darüber hinaus an, dass diese Mischung nicht unspezifisch erfolgt, sondern sich charakteristische Zuständigkeiten herausbilden.

Der Beitrag berichtet empirische Ergebnisse des Forschungsprojekts OASIS – Old Age and Autonomy: The Role of Service Sys-tems and Intergenerational Family Solidarity. Grundlage ist eine nach Alter geschichtete urbane Stichprobe von 6.106 Personen im Alter von mehr als 25 Jahren aus Norwegen, England, Deutschland, Spanien und Israel. Die Analyse zeigt, dass die Gesamtheit der von älteren Menschen empfangenen Hilfe in jenen Wohlfahrtsstaaten deutlich größer ist, die eine ausgeprägte Infrastruktur von formellen Dienstleistungen aufweisen. Unter Kontrolle von Sozialstrukturindikatoren, gesellschaftlichen Normen und individuellen Präferenzen, gesundheitlichen Einschränkungen sowie familialen Opportunitätsstrukturen lassen sich dabei keine Hinweise auf eine substantielle ‚Verdrängung‘ familialer Hilfen finden. Die Ergebnisse unterstützen stattdessen die Hypothesen einer ‚gemischten Verantwortung‘ und ‚funktionalen Differenzierung‘. Sie deuten darauf hin, dass in Gesellschaften mit gut entwickelten Dienstleitungsinfrastrukturen die Hilfe aus familialen und wohlfahrtsstaatlichen Leistungen häufig kumulativ vorzufinden sind und so auf die Lebensqualität im Alter wirken, während solche Mischungen in familial orientierten Wohlfahrtsregimes bei zugleich insgesamt geringerer Verbreitung von Hilfen nur selten vorkommen.

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Published

2006-12-01

How to Cite

Motel-Klingebiel, A., & Tesch-Römer, C. (2006). Familie im Wohlfahrtsstaat – zwischen Verdrängung und gemischter Verantwortung: Families in modern welfare states – Between crowding out and mixed responsibility. Journal of Family Research, 18(3), p. 290–314. https://doi.org/10.20377/jfr-297